Unmittelbar im Anschluss an die Sternwoll-Spinnerei in Hamburg-Othmarschen, in der damaligen Brahmsstraße 69, heute Griegstraße 69, waren die Dr. Rodatz Farbenfabrik und die Autoreparaturen Seyda. Heute ist auf der Fläche eine Tankstelle und es kommt 2021 ein neuer Standort für David Finest Sports Cars hinzu. Auf diesem Geländ – noch ist die genaue Lage nicht bekannt – war auch ein bewachtes Zwangsarbeitslager für die Conz Elektromotorenwerke in der nahegelegenen Gasstraße 6-10.
Das Barackenlager hatte seit 1941 bestanden. 1944 waren hier noch 29 Arbeiterinnen aus Polen (1) und aus der Sowjetunion (28) einkaserniert. Eine „Arierin“ war die Lagerleitung. In der gesamten Zeit der Existenz des Lagers waren hier 212 Frauen untergebracht.
Von 5. Oktober 1941 bis 2. März 1942 waren es 65 polnische Arbeiterinnen, ab dem 5. Mai 1943 kamen noch einmal 147 sowjetischen Frauen hinzu. Die meisten der Zwangsarbeiterinnen wurden im Laufe der Zeit in zwei weitere Zwangsarbeitslager der Conz-Elektromotorenwerke verlegt.
Die polnischen und sowjetischen Arbeiterinnen kamen zum größten Teil ins Lager in der Möllner Straße. Es war ein umzäuntes und bewachtes Lager mit sechs Baracken für 300 für so genannte „Ostarbeiterinnen“ – für Conz. 80 sowjetischen Frauen wurden in ein Lager für Keim & Co. KG in die Flottbeker Straße 198 verschoben. Friederike Littmann spricht hier auch von einem „Ostarbeiterinnenlager“ „mit eigener Küche und 72 nachgewiesenen Essensteilnehmern“ (www.zwangsarbeit-in-hamburg.de).
Aus den Zeiten des Einsatzes der Zwangsarbeiterinnen kann man auch etwas über die Rahmenbedingungen und die politischen Zusammenhängen sagen. Die polnische Frauen kamen alle 1941, die sowjetischen Frauen 1943. 1941 waren die Nazis davon überzeugt, dass sie nach dem begonnen Krieg gegen die Sowjetunion am 21. Juni 1941 die „Bolschewiken“ überrennen werden. Kein Gedanke war, dass man aus dem überfallenen Land Arbeitskräfte benötigt. Doch der Verlauf des Krieges und der Einberufung deutscher Männer, änderte auch die Lage zu Hause.
Polnische Arbeitskräfte wurde unmittelbar nach dem Überfall Polen 1939 unter Zwang nach Deutschland deportiert. Ende September 1939 waren es schon mehr als 10.000. Insgesamt mussten nach 1939 um die 2,8 Mio. Polen/innen in Nazi Deutschland arbeiten. „Mehr als 95 Prozent der polnischen Arbeiter wurden zwangsweise rekrutiert.“ (Luczak Czeslaw, Stuttgart 1961 S. 84ff). Ihnen wurde aus rassistischen Gründen der Stempel der primitiven, minderwertigen, slawischen Untermenschen aufgedrückt. „Es ist in ganz besonderem Maße notwendig, von vornherein die endgültige Stellung des fremden Volkstums dem Deutschen gegenüber abzugrenzen … Es geht nicht an, das Angehörige von fremden Völkern, die seit jeher alles Deutsche mit tiefen Hass verabscheut haben, die gleiche Behandlung erfahren … Kaum ein Volk aber ist allen Deutschen so feindlich gegenübergestanden wie das polnische Volk … Es kann nicht zugelassen werden, dass Polen an den vielen sozialen Errungenschaften teilhaben … Dem polnischen Beschäftigten ist somit eine Sonderstellung zugewiesen.“‘ (W. Pfisterer, Der ausländische Arbeiter in Deutschland, 1943, S.673).
Anders als bei den ausländischen Arbeitskräften aus den besetzten Ländern Nord- und Westeuropas bestimmte ein Erlass von Göring vom 8. März 1940, dass die polnischen Zwangsarbeiter eine besonders gekennzeichnete Arbeitserlaubniskarte erhalten mussten. Auf dem Kleidungsstück sollte ein violettes “P” aufgenäht und sichtbar getragen werden.
Bezogen auf die sowjetischen Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter, die im Mai 1943 in die Brahmsstraße 69 verschleppt wurden, hatte Göring am 26. Februar 1942 den „Allgemeine Bestimmungen über Anwerbungen und Einsatz aus dem Osten“ veranlasst. Dazu gehörte später noch die Anweisung, dass sie sichtbar „OST“ an den Arbeitsklamotten zu tragen hätten.
Friederike Littmann schreibt über diese Anwerbungen: „Ähnlich wie in Polen erhalten Berichte immer wieder die gnadenlose Menschenjagd ein besonderes Gewicht, bei denen kein Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen gemacht wurde, bei denen Mütter mit Kleinkindern ebenso verschleppt wurden wie Schwangere, Kranke oder ältere Menschen.“‘(S.301) Am Beispiel der Sternwoll-Spinnerei kann man dies auf eine sehr traurige Weise verfolgen (www.sternwollspinnerei.de). Es wurde die diffuse Angst vor der „bolschewistischen Hetze“, Sabotage und Zersetzung verbreitet. „Sie wurden von der NS-Propaganda als wilde und primitive ‚Untermenschen‘ dargestellt und mit schärfsten, unterdrückenden Behandlungsvorschriften belegt.“‘(S.302). So waren die Barackenlager mit einer „zweckentsprechenden, möglichst mit Stacheldraht versehene Umzäunung“ zu versehen (Allgemeiner Erlass vom 20. Februar 1942).
Die Conz-Elektromotorenwerke waren in der Beschäftigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter darauf aus, ihre Produktivität durch ein besonderes Lohnsystem zu erschließen, dass darauf abzielte, mehr Leistung zu belohnen. So wie die Unternehmen schnell ihre Interessenlage nach arbeitsfähigen Zwangsarbeitern gegenüber dem NS-Staat deutlich machten (gesunde, arbeitsfähige), so waren die Unternehmen im betrieblichen Einsatz an ihrer besonderen Ausbeutung interessiert.
Es gehört zu der besondere Geschichte in den Conz-Werken in der Gasstraße 6-10, dass den Zwangsarbeitern von der dortigen kommunistischen Widerstandsgruppe durch alltägliche Dinge wie der Ernährung geholfen wurde. Die Kommunisten waren es auch in anderen Fabriken, die sich solidarisch verhielten. Und es waren Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die sich mit ihnen organisierten.
In den Conz Werken war es Paul Thürey, der die Widerstandsarbeit organisierte. 1939 erhielt er eine Anstellung im Rüstungsbetrieb. Hier hatte er auch seine Ausbildung gemacht hatte. Er wurde Betriebsvertrauensmann der Industriegruppe Metall der Deutschen Arbeitsfront und gleichzeitig ab 1940 der Hauptkontakt der Widerstandsbewegung zu diesem Betrieb. In der Nacht vom 20. zum 21. Oktober 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet. Im Hamburger Kommunistenprozess wurde er zum Tod verurteilt und am 26. Juni 1944 im Hamburger Untersuchungsgefängnis enthauptet.