Über Flora Neumann, Arbeiterin in der Sternwoll-Spinnerei in den 1920er Jahren

In Hamburg ist nach Flora Neumann im Karolinenstraße eine Straße benannt. Diese kleine Frau mit ihren 1,44 m hat das KZ Auschwitz überlebt, genau so wie ihr Mann, Rudolf Neumann. das KZ Buchenwald. Sie arbeitete in den 1920er Jahren mit ihrer Schwester in der Sternwoll-Spinnerei.

Flora Andrade war 1911 geboren und mit Rudi Neumann seit 1931 verheiratet.  Nach dem neunjährigen Besuch der Israelitischen Töchterschule in der Carolinenstraße 35 fing sie noch eine weiterführende Ausbildung an. Sie sprach später von einer Kunstgewerbelehrzeit. Ihre Eltern befanden sich  in einer sehr schwierigen Lage, so wurde ihr Vater zum Offenbarungseid gezwungen. Flora wollte ihren Eltern finanziell helfen. “So ging ich von einer Fabrik zur nächsten und fragte nach Arbeit. Es klappte in Bahrenfeld in der Wollspinnerei Semper“, schrieb sie 1997 in ihren Lebensaufzeichnungen, „Erinnern, um zu leben“. Damals hatte die Familie Semper bereits nichts mehr der Sternwoll-Spinnerei zu tun. „Ich arbeitete im Akkord. Meine Schwester (Paula) gab ihre Arbeit als Hausmädchen auf, da wir in der Fabrik besser verdienen konnten. So arbeiten wir fünf Jahre zusammen an derselben Maschine. Meine Eltern waren sehr unglücklich darüber, denn sie hatten mit ihren Kindern einmal andere Pläne gehabt.“  Sie organisierte sich bei den „Jüdischen Jungarbeiter” (JJA), die ein Jugendheim in der Johnsallee hatten. Hier redeten sie “über Glauben, über Menschenrechte, über das Leben der Arbeiterfrauen. … Ich nahm an einem Kurs teil über Karl Marx, das ‚Kapital‘, Engels und Hegels Dialektik.“ Sie erzählt weiter, dass sie das Leben nicht verschlafen wolle,  „wenn ich auch manchmal nach der Arbeit todmüde war, so blieb etwas haften und ich verstand den Kampf der Arbeiterfrauen immer mehr.“ 

Mit der Machtübernahme der Nazis änderte sich ihr Leben. „Ich durfte als Jüdin seit 1933 sowieso nicht mehr arbeiten und wohnte zur Untermiete in der Rutschbahn auf einem Zimmer. Ich bekam von der Wohlfahrt Unterstützung”, schrieb sie in ihren Erinnerungen. Im Juni 1933 bis April 1934 saß Rudi in Fuhlsbüttel im Gefängnis, ohne Verfahren. In dieser Zeit wurde er misshandelt, u.a. wurde ihm auch das Nasenbein gebrochen. Er wurde für kurze Zeit freigelassen, aber ab Juli 1934 wurde er wieder festgenommen. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wurde er zu einer Gefängnisstrafe vom 1.10.1934 bis 1.10.1935 verurteilt. Während der Gefängniszeit ihres Mannes kam der Sohn Bernd im Israelitischen Krankenhaus in der Eckernförder Straße, heute Simon von Utrecht Straße, zur Welt. Mehr schmunzelnd, erzählt sie später über den ersten Kontakt von Rudi und Bernd: “Als Berni zwei Monate alt war, fuhren wir ins Gefängnis nach Fuhlsbüttel. Rudi freute sich, aber Bernie schrie so, dass wir unser Wort nicht verstehen konnten. Ihm gefiel der Ort wohl nicht, wo sein Vater war. Das kann man verstehen.“ Nach dem Gefängnis arbeitete er wieder als ambulanter Verkäufer, konnte aber diese Tätigkeit später nicht mehr ausüben. In einem späteren Wiedergutmachungsverfahren in den 1950er Jahren schreibt sein Anwalt: „Ab November 1937 bekam er ein Berufsverbot als Händler, weil er Jude war.“

Im März 1938 sollte er verhaftet werden, floh aber nach Belgien, wo er am 9.4.1938 ankam. Flora konnte die Nazis täuschen und floh kurz später auch nach Brüssel, zu dem Zeitpunkt wohnte sie mit ihrem Sohn im Schlüterweg 8. In Brüssel lebten sie illegal, waren aber weiterhin im Widerstand gegen Hitler aktiv. Das Ehepaar wurde verraten. Rudi wurde am 10. Mai 1940 verhaftet und in einem Internierungslager in Südfrankreich festgehalten.  Flora lebte weiter illegal in Brüssel, wurde aber im Oktober 1942 von den Nazis verhaftet, die seit 1940 in Belgien einmarschiert waren, und nach Auschwitz deportiert. Hier war sie in verschiedenen Lager untergebracht und musste Zwangsarbeit leisten. Dort wurde sie misshandelt, u.a. waren  es  medizinische Experimente, die sie Zeit ihres Lebens verfolgten. Sie überlebte nicht nur das KZ Auschwitz, sondern auch den Todesmarsch 1945 Richtung Westen in das KZ Ravensbrück und nutzte den Moment zur Flucht mit einer Freundin.

Rudi Neumann war bis 1942 in Südfrankreich interniert, danach kam er in verschiedene KZ: Laurahütte, Blechhammer, Groß-Ronen und Buchenwald. Bis auf Buchenwald wurde er überall zur Zwangsarbeit eingesetzt und erlitt dabei auch körperlichen Schäden.

Nach der Befreiung zog es Flora zu ihrem Sohn nach Brüssel. Rudi hatte den gleichen Gedanken und sie fanden dort wieder zusammen. Flora war schwerkrank aus Auschwitz zurück gekommen und kam in Brüssel 1945 in ein Erholungsheim der jüdischen Gemeinde. Wegen der schweren Schäden war sie fünf Jahre lang bettlägerig. Rudi fand Arbeit in einem jüdischen Waisenheim als Hausmeister bis Ende 1950. Bis zu ihrer Rückreise nach Hamburg im November 1951 war er ohne Arbeit und Einkünfte, aber sie konnten wenigstens  mietfrei wohnen. Im Hamburg nahm Rudi seine Arbeit als ambulanter Händler bis 15. November 1954 wieder auf. Im Dezember 1954 machten beide in der Marktstraße 13/15 ein Waschsalon auf. Ab 1967 stieg Rudi ganz aus dem Geschäft aus und arbeitete bis zu seiner Rente wieder als ambulanter Händler. Er starb 1996.

Bis ins hohe Alter hatte Flora Neumann  an Hamburger Schulen als Zeitzeugin Tausende von Schülerinnen und Schüler über die Nazi-Zeit und ihre Greueltaten aufgeklärt. 2005 verstarb sie im Alter von 94 Jahren. 2010 wurde ein Teil der Grabenstraße zur Flora Neumann Straße umbenannt.

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