Ansprache zur Kundgebung 3.5.2013 anlässlich Einweihung des Reliefs zum Gedenken der Zwangsarbeiter/innen der Sternwoll-Spinnerei und weiterer Betriebe in den Jahren 1939-1945 auf dem Gelände am Friesenweg und der Griegstraße von Pastor Matthias Kaiser von der Ev.-Luth. Tabita-Kirchengemeinde, Ottensen/Othmarschen
Sehr geehrter Herr Staatsrat Hill,
sehr geehrte Familie Hollmann,
sehr geehrte Damen und Herren der Hamburger Morgenpost,
sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser Kundgebung
ob aus der Ferne oder der Nachbarschaft,
sehr geehrte Frau Cornelia Dusör
sehr geehrte Mitglieder der Jury,
Wir sind heute am 3. Mai zwei Tage nach dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, als Menschen guten Willens an diesem Ort der ehemaligen Sternwoll-Fabrik versammelt um das Relief, der Hamburger Künstlerin Dusör, einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen. Es steht exemplarisch für die Erniedrigung von Menschen durch erzwungene Arbeit und menschenunwürdigen Bedingungen. Hier auf diesem Gelände wurden mehr als 1000 Menschen gezwungen im „Räderwerk des NS-Regimes“ mitzumachen und dafür zu sorgen, dass dieses Räderwerk sich dreht und viele Millionen Menschen durch Krieg und Massenvernichtung getötet oder lebenslänglich an Leib und Seele geschädigt wurden.
Der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hat vergeblich gefordert und aufgerufen, dass man „selbst dem Rad in Speichen zu fallen habe“. Er hat es bekanntlich getan und wurde in den letzten Tagen des Krieges hingerichtet.
Das Relief drückt diesen Zustand sehr eindrucksvoll aus Es dient der Erinnerung an die vielen der Opfer, deren Leben und Würde hier durch Zwangsarbeit nachhaltig geschädigt und geprägt worden ist. Auf diesem Geländer der ehemaligen Sternwoll-Fabrik und in naheliegenden Betrieben wurden unter anderem auch Rüstungsgüter wie Granathülsen für die Deutsche Wehrmacht hergestellt. In den Heimatländern der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sorgte diese Munition für Tod und Verwüstung von Menschen und Häusern. Was für eine schreckliche Situation? Erzwungene Arbeit von verschleppten Menschen, mit noch schrecklicheren Auswirkungen Nazideutschlands über seine Grenzen hinaus, in die Welt.
Als Pastor der Ev.-Luth. Tabita-Kirchengemeinde, in deren Bereich die 115 Jahre alte Kreuzkirche liegt, frage ich mich heute: Was mögen die zur Zwangsarbeit an diesen Ort verschleppten Menschen aus der Sowjetunion, mehrheitlich eher sozialistisch/stalinistisch orientiert, einige von ihnen waren vielleicht orthodoxen Glaubens geblieben, oder die Christinnen und Christen aus Polen oder dem Baltikum gedacht haben, wenn sie Kreuzkirche sahen? Wenn sie die Griegstraße weiter zum Hohenzollernring gingen?
Von der Gemeinde vor Ort konnten sie nur wenig Hilfe erwarten. Es hat vielleicht die eine oder andere versteckte Hilfe gegeben. Insgesamt wurde Nächstenliebe klein geschrieben und auf das sogenannte „Völkische“ beschränkt, obwohl der imposante Turm der Kreuzkirche auf einen Gott der Nächstenliebe verweist. Die große Mehrheit der Christinnen und Christen hatte versagt. Nachbarschaft und Solidarität hatten ebenfalls versagt. Auch wenn noch 1932 und 1933 die Altonaer Pastoren sich mehrheitlich mit nicht wenigen Christen in einem für die Kirche pionierhaften Bekenntnisakt gegen der aufkommenden Nationalsozialismus wehrten:1939-1945, in den Jahren der Zwangsarbeit, war alles zu spät. So dachten jedenfalls viele.
Ich weiß von Gemeindegliedern, dass ihre Eltern über die Zeit der Zwangsarbeiter hier auf dem ehemaligen Gelände der Sternwoll-Spinnerei auch nach 1945 so gut wie nie gesprochen haben. Das Thema war Tabu.
Man wusste zwar, was Zwangsarbeit war, hatte die abgewetzten Schuhe, die verschlissene oft unsaubere Kleidung in Erinnerung, ging mit ihnen zuweilen zur Arbeit, sah sich auf den Straßen, tauschte Blicke und ein paar Worte aus. Der deutsche Sprachwortschatz der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war jedoch sehr begrenzt. Schließlich war Arbeit wichtiger als Spracherwerb. Manche erhielten heimlich etwas Brot. Aber das waren Ausnahmen. Kontakte zu Zwangsarbeitern, die aus Humanität geschahen, wurden hart bestraft. Entsprechend groß war die Angst, erwischt zu werden.
Das größte Hindernis war die alles bestimmende Ideologie der Nazis, die Menschen aus slawischen Ländern als Untermenschen definierte, gegen die man eine Vernichtungskrieg führte und die im günstigen Fall zur Zwangsarbeit eingezogen wurden.
Zu dieser Ideologie gehörte auch, dass Juden, Sinti, Roma und Widerständler jeglicher Art, Homosexuelle und Menschen mit Behinderung wurden millionenfach direkt in Gefängnisse und Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht wurden. Nur ein sehr kleiner Teil überlebte. Dieser Opfer gedenken wir heute auch.
Der Sinn des Lebens von Zwangsarbeitern bestand allein darin, minimalem Aufwand die durch den Krieg fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bekamen, um es in der Sprache der Losung(“Soviel du brauchst…“) des gewärtigen Deutschen Evangelischen Kirchentages in Hamburg zu sagen, nicht das, was sie brauchten und was ihnen zustand. Das tägliche Brot war rationiert und oft von der Arbeitsleistung abhängig. Sie lebten in schlecht beheizten Baracken, ohne Freiheits- und Menschenrechte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Menschen guten Willens,
weil Menschen nicht automatisch aus diesen Erfahrung lernen, sind Gedenkanstöße wie sie durch dieses Relief ausgelöst werden nötig. Dafür sind wir zu vergesslich und zu oberflächlich in der Fülle heutiger Informationen und unterhaltsamer Ablenkungen. Das Relief markiert menschliche Erfahrungen und lädt uns und kommende Generationen zum Lernen einer Lektion der Geschichte ein.
Nur so lässt sich der Wahnsinn der NSU Morde in Bahrenfeld und anderswo verhindern. Weder für das Gedenken dieser beschämenden Geschichte noch für das Unterbrechen erneuter fremdenfeindlicher und rassistischer Tendenzen in Deutschland gibt es ein zu spät oder ein zu viel.
So wünsche ich mir, dass dieses Relief die noch wenigen Zeitzeugen zum Erinnern, Erzählen und Eingestehen von Schuld ermutigt – vor allem zum Erzählen zwischen den Generationen. Wir sind es den Opfer und der Geschichte, die hier vor Ort passiert ist, schuldig.
Diese Gedenktafel, so eindrucksvoll sie ist, sie ist das notwendige Minimum, dass wir den Opfern von Zwangsarbeit und allen weiteren Opfern der Gewaltherrschaft des NS-Staates und ihren Nachfahren schuldig sind. Bringen wir als Menschen dieses Stadtteils das uns mögliche Maximum ein, damit dieses Relief ein bleibender Anstoß für das Erinnerns und Lernens aus dieser Geschichte wird.
Ich danke der Familie Hollmann als den Stiftern dieses Gedenkreliefs mit der erklärenden Tafel und für Ihre Zustimmung, dass beides an so exponierter Stelle im Eingang errichtet werden konnte. Ferne danke ich der Künstlerin, Cornelia Dusör für Ihre Bereitschaft und einfühlsame Kreativität, dieser Geschichte ein Gesicht zu geben. Ein Gesicht, das alle, die an diesem Relief vorgehen und stehenbleiben, erreicht und anspricht.
Zu guter Letzt möchte ich auch der Jury und Holger Artus danken. Wir haben anhand dieses und der anderen Entwürfe leidenschaftlich und sachlich über das „Wie“ und „Was“ des Erinnerns und Gedenkens diskutiert und mit den Brüdern Hollmann eine einvernehmliche Entscheidung gefällt.
Lassen Sie uns weiterhin aus der Geschichte für die gegenwärtigen Herausforderungen Hamburgs und seiner Menschen, die schon hier sind oder noch als Fremde unter uns leben, ob mit oder ohne Arbeit und Wohnung, das Beste suchen und finden, nämlich soviel, wie jeder um seiner Würde willen wirklich braucht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.